Wenn Sie in diesem Augenblick überlegen eine Therapie zu beginnen, geht es Ihnen wahrscheinlich nicht gut. Ich möchte an dieser Stelle einleitend betonen, dass es besser ist früher zum Therapeuten zu gehen und nicht zu lange zu warten - gleich wenn Ihr Befinden schwankt, und Sie zwischendurch auch Phasen der Besserung erleben.
Genau für diese Zustände haben die Krankenkassen die sogn. "psychotherapeutische Sprechstunde" zur Verfügung gestellt - ein Angebot das zunächst einmal der Abklärung, Diagnostik und Aufklärung dient, jedoch noch keine Therapie ist! In der Sprechstunde oder Beratungsstunde, die i.d.R. bis zu 3 Mal bei einem Therapeuten in Anspruch genommen werden kann, können Sie sich zunächst Rat einholen und gemeinsam das Ausmaß ihrer Symptome einschätzen.
Aber zurück zum eigentlichen Thema dieses Beitrags, Sie möchten eine Therapie beginnen - aber wie gehen Sie vor?
Nun, eine fundierte Suche beginnt immer mit der Recherche nach approbierten Therapeut*innen - mit Kassenzulassung! Hierbei helfen zunächst sowohl das Internet (z.B. Jameda), die Kassenärztlichen Vereinigungen (Telefonnummer 116117) oder letztlich auch Ihre Krankenkasse mit offiziellen Verzeichnissen und Listen. Fragen Sie bei Ihre Kasse nach einer Liste mit eingetragenen Psychotherapeuten und kontaktieren Sie diese. Falls Sie direkt bei Praxen anrufen, achten Sie auf deren telefonische Sprechzeit, die auf der Ansage des Anrufbeantworters genannt wird und notieren sich diese. Rufen Sie ggf. zu den auf den AB genannten Zeiten erneut an.
Wichtig ist weiterhin, auf die Approbation (z. B. Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologie systemische Therapie) und ob eine Kassenzulassung vorliegt, zu achten. Zögern Sie nicht während der Kontaktaufnahme direkt danach zu fragen!
Wenn Sie erste Termine vereinbaren, nutzen Sie wenn möglich ruhig mehrere psychotherapeutische Sprechstunden, um herauszufinden, ob die „Chemie“ stimmt.
Denn: Fachliche Kompetenz allein genügt nicht – Vertrauen, Offenheit und eine gute Arbeitsbeziehung sind zentrale Voraussetzungen für eine wirksame Therapie.
Tatsächlich gilt die Arbeitsbeziehung zwischen Patient und Therapeut ("wie gut komme ich mit dem Therapeuten klar“), als einer der stärksten Wirkfaktoren für den späteren Therapieerfolg (vgl. Grawe, 2004; Norcross & Lambert, 2019). Also hören Sie während der ersten Sitzungen auf Ihr Bauchgefühl!
Doch nicht nur die Wahl des Verfahrens und welcher Therapeut*in sind wichtig: Auch die Frage, ob Einzel- oder Gruppentherapie sinnvoll ist, verdient Beachtung. Viele Menschen zögern bei Letzterem – dabei bietet die Gruppentherapie unterschätzte Vorteile.
Gerade die Gruppentherapie bietet zusätzliche, wissenschaftlich belegte Wirkfaktoren, die sich positiv auf den Therapieverlauf auswirken (vgl. Burlingame et al., 2011). Offenheit für dieses Format kann die Suche nach einem Therapieplatz erheblich vereinfachen.
Zudem zeigen Studien, dass eine Kombination aus Einzel- und Gruppentherapie oft besonders effektiv ist (Yalom & Leszcz, 2020).
Warum ist das so?
In Gruppen spiegeln sich soziale Dynamiken oft viel authentischer als im Einzelgespräch. Sie haben die Möglichkeit, Ihr Verhalten im Kontakt mit anderen zu beobachten – und dabei neue Erfahrungen zu machen. Das wirkt direkt auf Selbstbild, Konfliktfähigkeit und Beziehungskompetenz.
Viele psychische Probleme gehen außerdem mit dem Gefühl einher, „anders“ oder „falsch“ zu sein. In einer Gruppe erleben Patient*innen oft erstmals, dass andere ähnliche Gedanken, Ängste oder Muster teilen. Dieses Erleben reduziert Scham und Isolation – und fördert Selbstakzeptanz.
Außerdem erhalten Sie nicht nur Rückmeldung von der Therapeut*in, sondern auch von Menschen, die ähnliche Herausforderungen haben. Oft ergeben sich daraus neue Sichtweisen, Lösungsansätze und emotionale Erkenntnisse, die in der Einzelarbeit so nicht zugänglich wären.
Natürlich kostet es Überwindung, sich in einer Gruppe zu öffnen – insbesondere mit persönlichen Themen. Doch genau diese Offenheit kann heilsam sein. Die Gruppe bietet ein geschütztes, therapeutisch geleitetes Umfeld, in dem mit Respekt, Achtsamkeit und Struktur gearbeitet wird. Ängste wie „Ich komme nicht zu Wort“ oder „Ich werde bewertet“ sind häufig – und können in der Gruppe realitätsnah und konstruktiv bearbeitet werden. Seien Sie mutig und lassen sich in der Sprechstunde dahingehend beraten.
Therapie braucht Zeit – und verdient sie auch!
Psychotherapie ist kein kurzfristiges "Reparaturprogramm", sondern ein tiefer, oft lebensverändernder Prozess. Sie bedeutet nicht nur, Hilfe in Anspruch zu nehmen, sondern sich bewusst Zeit für sich selbst zu nehmen – für Entwicklung, Heilung und Selbstverstehen.
Gerade in einem durchgetakteten Alltag scheint es schwer, Sitzungen regelmäßig einzuplanen. Doch Veränderung braucht Kontinuität. Studien zeigen, dass die regelmäßige Teilnahme und innere Verfügbarkeit zentrale Wirkfaktoren für den Therapieerfolg sind (z. B. Lambert, 2013). Wer sich in der Therapie „nur schnell nebenbei helfen lassen“ will, verpasst oft den eigentlichen Kern: Psychotherapie ist keine Konsumleistung – sie ist ein aktiver Prozess, der Zeit und Beteiligung erfordert.
Was bedeutet „sich Zeit nehmen“ konkret?
- Regelmäßige Sitzungen wahrnehmen – auch (und gerade), wenn es emotional oder organisatorisch herausfordernd wird.
- Nachwirken zulassen: Manche Sitzungen beschäftigen uns noch Tage später. Nehmen Sie sich bewusst Zeit zum Nachdenken, Nachspüren, Integrieren.
- Pausen schaffen: Versuchen Sie, vor und nach den Sitzungen etwas „Pufferzeit“ einzuplanen.
- Prioritäten setzen: Therapie ist eine Investition in Ihre Lebensqualität. Wenn Sie sich verändern möchten, braucht das Vorrang – zumindest zeitweise.
Viele Menschen berichten, dass die Zeit in der Therapie auch ihre Haltung zu Lebensfragen verändert: Sie nehmen sich wieder selbst wichtiger, setzen Grenzen klarer, erkennen alte Muster und treffen bewusstere Entscheidungen. Doch dieser Prozess beginnt mit einer Entscheidung: sich selbst Zeit zuzugestehen. Nicht als Luxus – sondern als Notwendigkeit.
Vielleicht bis hierhin erst einmal. Ich hoffe, ich konnte Ihnen einige hilfreiche Gedanken mit auf dem Weg geben. Sollten Sie Fragen oder Anmerkungen zu diesem Artikel haben, Schreiben Sie uns gern!
Dieser Blog wurde geschrieben von Alexander Friese, M.Sc., Psychologischer Pychotherapeut, Approbation Verhaltenstherapie
Quellen:
Lampert, T. (2013). Wirkfaktoren in der Psychotherapie – Gemeinsame Wirkfaktoren und spezifische Wirkmechanismen. In: Bundespsychotherapeutenkammer (Hrsg.), Psychotherapie – Wissenschaftliche Grundlagen und berufliche Praxis (S. 121–132). Psychiatrie Verlag.
Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie: Wie die Neurowissenschaften die Psychotherapie befördern. Hogrefe.
Norcross, J. C., & Lambert, M. J. (Hrsg.). (2019). Psychotherapy Relationships That Work (3. Aufl.). Oxford University Press.
Yalom, I. D., & Leszcz, M. (2020). The theory and practice of group psychotherapy (6th ed.). Basic Books.